Berlin, Ende der 20er Jahre: Eine Frau mit schulterlangen braunen Haar sitzt an einem runden Tisch, auffallend, dicht gedrängt an ihre Sitznachbarn. Es sind überwiegend Männer, die sich regelmäßig in dem Lokal – bekannt als das Romanische Café – treffen, um sich über Themen der Literatur und Kunst auszutauschen. „Mascha Kaléko!“ Die junge Frau dreht sich zu ihrem Gegenüber um, der sie bewundernd ansieht. Sie verlieren sich in einem lebhaften Austausch über eines ihrer Gedichte, geschrieben im Stil der aktuellen Literaturepoche „Neue Sachlichkeit“1.
Falls du neugierig auf ihre Gedichte bist, klicke hier.
In ihrer Lyrik beschreibt Mascha Kaléko ihre Erfahrungen und Eindrücke, die sie während den drei Hauptstationen ihres Lebens gesammelt hat:
Das Alltagstreiben in Berlin, ihr Exil-Leben in New York und ihre Gefühlswelten in Jerusalem.
Mascha Kaléko wurde als Golda Malka Aufen am 7. Juni 1907 in Chrzanów (Galizien) geboren. Kurz vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs flieht die jüdische Familie aus Angst vor Pogromen der Russ*innen nach Frankfurt am Main. Mascha fühlt sich dort fremd. Sie wird erstmals mit Exilerfahrung und Heimatverlust konfrontiert. Da ihr Vater russischer Staatsangehöriger ist, wird er als "feindlicher Ausländer" von seiner Familie getrennt und interniert. Mascha schreibt ihre ersten Gedichte.
Das Romanische Café: Die Bohème Berlins in den 20er-Jahren
1918 zieht sie mit ihrer Mutter und Schwester in die Großstadt Berlin. Auf Drängen ihres Vaters, der ein Studium für Frauen überflüssig hält, verlässt Mascha 1925 mit der Mittleren Reife widerwillig die Schule und arbeitet zunächst als Auszubildende im Büro des Arbeiterfürsorgeamts einer jüdischen Organisation. Gleichzeitig besucht sie an Berliner Hochschulen Abendkurse für Psychologie und Philosophie. In dieser Zeit lernt sie den Philologen Saul Kaléko kennen, den sie 1928 heiratet. Mascha arbeitet nun in der Verwaltung einer jüdischen Gemeinde. Nach ihrer Arbeit besucht sie mit oder ohne Saul das Künstlerlokal das Romanische Café in Charlottenburg. Hier treffen sich Maler*innen, Schauspieler*innen und Schriftsteller*innen wie Erich Kästner, Else Lasker-Schüler und Bertolt Brecht, um sich über ihre Werke und Interessen auszutauschen. Maschas Gedichte werden bekannt; die Zeitschrift „Querschnitt“ veröffentlicht regelmäßig ihre Gedichte, die das Alltägliche realistisch, einfühlsam und mit modernen Vokabular beschreiben.
Es ist die Bohème Berlins, die sich noch bis Anfang der 30er-Jahre im Romanischen Café treffen wird. Als Hitler an die Macht kommt, fliehen viele von ihnen ins Exil, um ihr Leben zu retten.
Mascha bleibt zunächst in ihrem geliebten Berlin. Die Stadt ist für sie Heimat geworden. 1933 erscheint Mascha Kalékos erstes Gedichtband „Das lyrische Stenogrammheft“ im Rowohlt-Verlag. Es ist ein so großer Erfolg, dass kurz darauf ihr zweites Werk „Kleine Lesebuch für Große“ veröffentlicht wird. Auch sie leidet zunehmend unter der Regierung der Nationalsozialist*innen: 1935 wird sie von der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und 1937 werden ihre Werke als „schädliche und unerwünschte Schriften“ schließlich verboten. Sie darf nicht mehr als Schriftstellerin arbeiten. In dieser turbulenten Zeit lernt sie den Musiker Chemjo Vinaver kennen: Mascha trennt sich von ihrem Ehemann Saul Kaléko und bekommt 1936 mit ihrem neuen Lebensgefährten Chemjo einen Sohn. Bevor Mascha mit ihrer kleinen Familie 1938 nach Amerika flieht, heiratet sie erneut, behält jedoch den Namen ihres ersten Mannes als Künstlername bei.
Mascha Kalékos Leben im Exil
Durch die Flucht erleidet sie nicht nur den Verlust ihrer Heimat, sondern wird ebenfalls von ihrer Leserschaft getrennt. Sie lebt nun in New York, ihre Gedichte finden kaum Publikum. Im Exil haben ihr Mann und sie es schwer Geld zu verdienen:
Chemjo gründet einen Chor und gibt Konzerte. Mascha verfasst Reklametexte und kann in der deutschsprachigen Zeitschrift „Aufbau“ ein paar ihrer Gedichte veröffentlichen. In dieser Zeit befasst sie sich intensiver mit ihrem jüdischen Glauben, das in ihren Texten sichtbar wird. Ihr Heimweh begleitet sie durchgängig. Dies wird unter anderem in ihrem Gedicht "Der kleine Unterschied" deutlich.
Rückkehr nach Deutschland
Erst im Jahr 1956 besucht Mascha zum ersten Mal nach der Flucht ihre verlorene Heimat: Eine Vortragsreise durch Deutschland ist geplant, um auf ihr neu aufgelegtes Buch „Das lyrische Stenogrammheft“ in der Öffentlichkeit aufmerksam zu machen. Sie wird freudig empfangen. Die Presse berichtet über sie und ihre Werke und ihre Lesungen auf der Reise sind ein Erfolg. Sie wird für den Fontane-Preis der Berliner Akademie der Künste in Berlin nominiert. Da Mascha erfährt, dass ein Jury-Mitglied der SS angehörte, zieht sie ihre Nominierung entschieden zurück. Statt sich zu entschuldigen, kritisiert und diskreditiert der Generalsekretär der westberliner Akademie, Herbert von Buttlar, Mascha Kaléko: Wenn ihr als Emigrantin die Vorgänge nicht passten, könne sie doch fortbleiben, anstatt falsche Gerüchte zu streuen, wie Jan Koneffke am 16.03.2013 in der NZZ schreibt. Sie wird keine weitere Literaturauszeichnung erhalten.
Ihr letzter Lebensabschnitt in Jerusalem
Das Ehepaar entschließt sich 1959 nach Jerusalem zu ziehen. Chemjo hat es sich so gewünscht. Wieder einmal muss sich Mascha in einem fremden Land zurecht finden. Sie fühlt sich literarisch vereinsamt, denn sie kann die Landessprache nicht sprechen und ist weiterhin von ihrem Publikum getrennt. Als ihr Sohn 1968 überraschend stirbt, zieht sie sich immer weiter zurück. 5 Jahre später verliert sie ihren geliebten Ehemann. Ab diesem Zeitpunkt verlässt sie kaum noch ihre Wohnung. Es sind für sie tragische Lebenseinschnitte, die sie nicht mehr verwinden kann. Ihren Verlust beschreibt sie in einige ihrer Gedichte, beispielsweise in "Seiltänzerin ohne Netz".
Nach ihrem letzten Besuch in Berlin, nach ihrem letzten Vortragsabend, stirbt sie während eines Zwischenaufenthalts in Zürich am 21. Januar 1975 an den Folgen von Magenkrebs. Sie war auf der Rückreise nach Jerusalem.
Mascha Kaléko und ihre lyrischen Werke haben mich beeindruckt. Ich hatte zufällig über sie einen Artikel gelesen und war so neugierig auf ihre Gedichte. Ich hoffe, du konntest dir ein Bild von ihr machen? Falls du Anregungen, Ideen oder Gedanken zum Thema oder zum Artikel hast, schreib mir gerne. Ich freue mich von dir zu hören!
Falls du mehr über Mascha Kaléko erfahren möchtest, hier ein paar Recherchetipps:
https://www.maschakaleko.com/
https://www.dtv.de/autor/mascha-kaleko-181/
Buch: Mascha Kaléko - Biografie von Jutta Rosenkranz
Übrigens, die Künstlerin Dota Kehr hat auf ihrem Album „Kaléko“ Gedichte von Mascha vertont: https://kleingeldprinzessin.de/
Mehr Informationen zur Weimar Republik und zur literarischen Strömung Neue Sachlichkeit findest du hier: Zwischen Festigung und Gefährdung 1924-1929 | bpb.de