TW: Angst
Ich hatte mir vorgestellt, zur Ruhe zu kommen und mich treiben zu lassen. Einfach die Zeit zu genießen. In etwa so: Sonnenbrille an, kurze Sachen anziehen und ab auf die Liege. Nichts tun. Aber leider ist das so mit meinen Gedanken: Wenn mal nichts oder fast nichts in meinem Leben los ist, nehmen sie immens viel Raum ein. Und Schwupps bin ich wieder in meinem Angstkarussell – Amygdalaseidank.
Zwei Stunden mit dem Zug
Ich möchte demnächst nach Barcelona fahren. Mit dem Zug. Von hier aus sind es knapp zwei Stunden. Zugfahren fand ich früher toll. Ich genoss es, wenn an meinem Fenster die Landschaft vorbeizog und ich dabei Musik hörte. Die gesamte Fahrt lang. Als Kind stellte ich mir vor, wie ich auf einem Pferd an meiner Scheibe vorbeireite und über alle Hindernisse galoppiere. Ich fühlte mich frei.
Zugfahren fand ich früher toll. Heute ist das anders. Ich habe Angst.
Heute ist das anders. Ich habe Angst in Räumen, in denen ich das Gefühl habe, nicht rauszukommen. Beim Zugfahren, Busfahren und Fliegen ist meine Angst sehr präsent. Manchmal ist sie so stark, dass ich Panik bekomme. Durch die Therapie habe ich gelernt, mit meinen Ängsten umzugehen bzw. durch die Therapie weiß ich, wie ich mit ihnen umgehen kann und das klappt mal besser und mal weniger gut. Als ich geplant hatte, nach Barcelona zu fahren, war ich sehr entspannt. Ach Zugfahren, das habe ich jetzt so oft geübt, das klappt schon.
Naja, und jetzt ein paar Tage vorher habe ich wieder Angst. Um mich zu beruhigen, habe ich recherchiert, wie groß die zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Haltestellen sind, wie der Zug aussieht, ob es da Flure gibt, in denen ich in meiner Vorstellung ohne Menschen um mich herum am besten meine Panikattacke aushalten könnte – ein Foto von diesem Zug zu finden, kostete mich Stunden. Gibt es die Möglichkeit, Zugmodelle mit Innenansicht online zu stellen? Nach Vorgabe der Therapie sollte ich eigentlich nichts tun, die Angst einfach zulassen.
Vielleicht das nächste Mal.
Nach Vorgabe der Therapie, sollte ich eigentlich nichts tun, die Angst einfach zulassen. Vielleicht das nächste Mal.
Ich weiß, dass ich in diesen Zug einsteigen werde, weil ich jetzt schon oft in dieser Situation war. Aber es ist trotzdem belastend und anstrengend. Für viele Menschen ist Zugfahren etwas Nebensächliches, eine belanglose Tätigkeit, um von einem Ort zum nächsten zu kommen.
An schwierigen Tagen bin ich sehr enttäuscht von mir – wieso bekomme ich es nicht mal hin Zug zu fahren?! – und wünsche mir ein Leben ohne meine Angst. An guten Tagen bin ich stolz auf mich, dass ich schon so weit bin, dass ich kaum noch Panikattacken habe. Und dass ich darüber schreiben kann. Zeitweise bereitet mir Zugfahren sogar schon Freude, wenn ich drin sitze, einen Platz habe und wir losfahren.
Next step: Flugzeug
Dieses Jahr möchte ich mit meinem Freund seine Familie besuchen. Ich werde also mit dem Flugzeug vier Stunden unterwegs sein. Und während ich das schreibe, spüre ich schon, wie mir komisch wird und sich mein Bauch zusammenzieht. Aber, ich werde es schaffen. Und wenn nicht, dann werde ich es wieder probieren und irgendwann sitze ich im Flugzeug mit meiner Angst, schaue aus dem Fenster, höre Musik und stelle mir vor, wie ich auf den Wolken tanze. Denn, was ich auf jeden Fall meiner Angst zu verdanken habe: meinen Mut.
Dieser Artikel ist auch bei im gegenteil erschienen.
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Dieser Gedanke, etwas nicht zu schaffen, was für andere normal und easy scheint, der haut bei mir auch immer noch zusätzlich rein. Versuche mir dann immer zu sagen, „die anderen“, das ist keine messbare Referenzgröße. Ich muss mich an mir orientieren, um einzuschätzen, was gerade geht und was nicht, und nicht an Menschen, von denen ich gar nichts weiß. Auch nicht, was sie vielleicht für Ängste haben.💛