Nackt, stark, ungeschönt – Aktfotografin Katja Heinemann zeigt, wie Körper wirklich sind
Ein Interview über Verletzlichkeit und Selbstermächtigung
Meine erste Diät hatte ich mit 12 Jahren. Germany's Next Topmodel war meine Lieblingssendung. Ich wollte unbedingt genauso aussehen wie die Teilnehmerinnen. An einem Kiosk kaufte ich mir ein Magazin zur Sendung, in dem die Kriterien standen, die ich als Model erfüllen müsste. Durch meine Neurodermitis hatte ich trockene Haut, war nicht schlank und groß genug. Ich brauchte Jahre, um mich in meinem Körper wohlzufühlen.
Katja arbeitet als Aktfotografin in Leipzig und weiß, wovon ich spreche. Auch sie kämpfte mit ihrem Körper. Die Fotografie half ihr, einen besseren Umgang mit sich selbst zu finden.
Warum hast du dich für Aktfotografie entschieden? Als ich mit der Fotografie begann, hatte ich sehr wenig Selbstwertgefühl. Als Leistungssportlerin war ich in der Sportschule unglücklich. Deshalb suchte ich nach einem Ausgleich und lieh mir die Kameras meines Vaters aus, der selbst viel fotografierte. Anfangs war ich mein eigenes Modell – einfach, weil ich da war. Dadurch konnte ich mich, mit mir selbst auseinandersetzen. Durch die Bilder erkannte ich: So schlimm, wie du denkst, bist du gar nicht. Fotografie wurde für mich zu einer Ausdrucksform.
Mit der Zeit wollte ich den Fokus von mir auf andere Menschen lenken und ihnen dieses Gefühl der Selbstermächtigung weitergeben. Ich glaube, jeder hadert irgendwann mit seinem Körper. Durch meine Arbeit möchte ich mir Zeit für Menschen nehmen, mit ihnen ins Gespräch kommen und ihnen ein gutes Gefühl geben – und vielleicht entstehen dabei Bilder, in denen sie sich schön fühlen.
Was möchtest du mit deinen Fotos vermitteln? Ich möchte zeigen, dass jeder Körper auf seine eigene Weise schön ist und dass wir uns alle nicht unähnlich sind. Meine Bilder sollen ein realistisches Körperbild transportieren, ohne Retusche oder Schönheitsfilter.
Gerade in sozialen Medien und der Werbung werden wir ständig mit unrealistischen Körperidealen konfrontiert – Heroin-Chic ist aktuell wieder stark im Trend. Mit meiner Fotografie setze ich bewusst ein Zeichen dagegen, indem ich echte, vielfältige und normale Körper ablichte.
Was nimmst du selbst aus deiner Arbeit mit? Es erfordert viel Mut, sich für ein Akt-Fotoshooting zu entscheiden, da man sich verletzlich zeigt. Ich finde es schön, mitzuerleben, wie Menschen an den Punkt kommen, an dem sie sich so frei fühlen, dass sie keine Angst mehr haben, etwas „falsch“ zu machen. Dabei wird mir bewusst, dass wir zwar alle verletzlich sind, dass aber Verletzlichkeit keine Schwäche ist. Und ich glaube, genau dieses Gefühl können meine Bilder transportieren.
Ich schätze an deiner Arbeit sehr, dass du die Körper unkommentiert lässt. Sie dürfen einfach sein. Es gibt viele Profile, die gegen Schönheitstandards kämpfen, aber dabei bestimmte Körpermerkmale hervorheben. Ich finde es viel bestärkender, Vorbilder zu finden, die mir ähnlich sind, ohne dass sie ihre vermeintlichen Makel zum Thema machen.
Ich frage mich oft, welche Motivation hinter solchen Inhalten steckt – warum sie gerade jetzt geteilt werden. Bei Influencer*innen scheint oft der Gedanke mitzuspielen, welche Themen besonders viel Aufmerksamkeit erregen. Natürlich sind Diskussionen über Schönheitsideale wichtig, und es braucht Plattformen, die diese Themen ansprechen. Doch oft empfinde ich die Herangehensweise als plump und einseitig.
Ich habe selbst darüber nachgedacht, die Geschichten zu den Körpern, die ich fotografie, zu teilen. Ich habe mich jedoch dagegen entschieden, weil ich mich nicht in der Position sehe, ihre Geschichten zu erzählen, und weil ich Körper nicht bewerten möchte.
Welche Rolle spielt Social Media bei deiner Arbeit? Als Aktfotografin muss ich damit rechnen, dass meine Reichweite eingeschränkt wird, weil der Algorithmus meine Fotos als pornografisch einstuft. Im schlimmsten Fall kann ich meinen Account verlieren. Deshalb nutze ich auch andere Plattformen, wie meinen Newsletter, um nicht von Social Media abhängig zu sein. Für mich ist Instagram in erster Linie ein Marketing-Tool, mit dem ich auf meine Arbeit aufmerksam mache.
Hast du bestimmte Themen für die Fotoshootings? In der Regel ist es das Modell, das ein Thema mitbringt. Sich für ein Aktshooting zu entscheiden, ist selten ohne einen tieferen Gedanken oder eine Intention. Vor dem Shooting spreche ich mit der Person über ihre Beweggründe, die sehr unterschiedlich sein können. Es gibt Menschen, die aufgrund ihres Körpers gemobbt wurden oder Narben tragen, deren Geschichten sie durch die Fotografie verarbeiten möchten. Ich überlege mir hauptsächlich, wo wir fotografieren und in welchem Licht. Alles andere kommt von der Person selbst.
Wie schaffst du für dich und die Person, die du fotografierst, einen sicheren Raum? Es ist von Person zu Person unterschiedlich, und ich versuche, mich darauf einzustellen. Als empathischer Mensch kann ich die Gefühle und Stimmungen im Raum gut wahrnehmen. Wenn ich merke, dass jemand unsicher ist, teile ich mehr von mir, um sie zu ermutigen, sich zu öffnen. Ist die Person hingegen lauter, kann ich mich gut zurückhalten, präsent sein, zuhören und Fragen stellen.
Was denkst du über Schönheitsideale? Es geht darum, sich in seinem Körper wohlzufühlen und ihn für das zu schätzen, was er auf seine eigene Weise leisten kann. Ich selbst habe eine Angststörung und erlebe Momente, in denen ich mich nicht auf meinen Körper verlassen kann. In solchen Augenblicken denke ich nicht darüber nach, wie er aussieht, sondern frage mich, wie ich mich in ihm wohlfühlen kann. Generell finde ich, dass es nicht gut ist, Idealen nachzueifern. Es gibt Wichtigeres als unser Aussehen.
Was bedeutet für dich Schönheit und was für dich Hässlichkeit? Ich weiß gar nicht, ob wir diese Begriffe wirklich brauchen. Alles kann auf seine Weise ästhetisch und schön sein. Schönheit ist subjektiv. Körperbezogen ist "hässlich" oft das, womit wir uns nicht wohlfühlen – Dinge, die uns unsicher machen oder die uns triggern, wenn wir sie bei anderen sehen. Aber ich finde, das ist nichts Schlimmes. Es sind Themen, mit denen man lernen kann, umzugehen. Für mich gibt es niemanden, der hässlich ist.
Fühlst du dich in deinem Körper wohl? Es ist immer ein Auf und Ab. Als Frau mit Zyklus gibt es natürlich Tage, an denen ich mich nicht wohlfühle. Aber durch die Fotografie treffe ich Menschen, die ähnliche Unsicherheiten haben. Da ich verschiedene Körper sehe, merke ich, dass alles normal ist.
Ich weiß nicht, ob es jemals einen Punkt geben wird, an dem ich denke, dass alles an mir toll ist. Vielleicht ist diese Unzufriedenheit, die wir spüren, auch eine Reaktion auf unsere Umwelt. Unser Körper ist einfach das Erste, was wir sehen und bemängeln können.
In meinem Newsletter gehe ich der Frage nach, in welcher Gesellschaft wir leben möchten. Was erwartest du von einer gerechten Gesellschaft? Meine Traumwelt wäre auf jeden Fall grüner – mehr Natur, weniger Stadt. Ich fände es schön, wenn alle Menschen sich auf Augenhöhe begegnen und respektvoll miteinander umgehen würden. Ich wünsche mir, dass wir Konflikte so ansprechen können, dass wir unterschiedliche Meinungen akzeptieren, uns selbst reflektieren und Fehler eingestehen.
Vielen Dank für dein Vertrauen und das bestärkende Gespräch, Katja!
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Du würdest mir und bestimmt auch Katja eine riesen Freude bereiten!
Wow, sehr berührend 🧚 Mag die Intimität, die durch die Art der Fragen erzeugt wird, nicht nur durch die Aktfotografie selbst
Das sind doch mal wirklich schöne Bilder! Aus dem Leben halt. Was will man mehr?