Feministin, Entdeckerin, FREIE JOURNALISTIN
Regine Glaß über ihren vielseitigen Job in Schweden
Regine arbeitet als freie Journalistin in Schweden. Sie schreibt unter anderem für Neues Deutschland, Deine Korrespondentin und Deutsche Welle. In Ihrem Newsletter “Aus Versehen Schweden” veröffentlicht sie regelmäßig persönliche Essays, Interviews und Reportagen. Ihre Themenschwerpunkte sind Politik, Feminismus und Stadtentwicklung. Im Interview erzählt sie mir über ihre schönsten Aufträge, wie sie sich als Politikjournalistin in Schweden etablieren konnte und über Herausforderungen im Journalismus.
Was war dein schönster Auftrag bisher?
Für mich persönlich war es ein tolles Erlebnis im Juni nach Bodø, eine Stadt in Norwegen, die am Polarkreis liegt, zu reisen. Ein Magazin aus Lichtenstein hatte mich beauftragt, über die Stadt vor Ort zu berichten, da sie nächstes Jahr 2024 Kulturhauptstadt Europas wird. Ich war noch nie so weit nördlich. An den Ort kommen gewöhnlich nur Leute, um weiter an den Polarkreis zu reisen. Für mich hat sich eine neue Welt aufgeschlossen. Ich habe mich wie eine Entdeckerin gefühlt.
Ein weiterer Auftrag, den ich auf andere Weise toll fand, war für das schwedische Medium Göteborgs-Posten über Abtreibung in Deutschland zu schreiben, als der Paragraph 219a geändert wurde – ein Artikel, den ich in Deutschland so nicht hätte aufbereiten können, da er dort nicht denselben Nachrichtenwert hätte. Viele Leute in Schweden waren schockiert, zu lesen, dass Abtreibung in Deutschland nicht legal ist. In Schweden ist Abtreibung schon eine deutlich längere Zeit legal, für die man keine Konsultation machen muss. Zudem wird die Abtreibung nicht von einem Arzt, sondern von einer Hebamme ausgeführt, die dies nicht verweigern darf.
Ist deine Arbeit feministisch?
Meiner Meinung nach ist es wichtig, zu sehen, dass man als Journalistin keine Aktivistin ist. Also, dass man nicht versucht, aktiv gesellschaftliche Prozesse zu verändern, sondern über sie berichtet und zur Wahrheitsfindung beiträgt. Und das ist ein deutlicher Antrieb für mich. Ich glaube aber, dass kein Journalist 100% neutral arbeitet. Wir sind alle Individuen mit unterschiedlichen Interessen und Anliegen. Beispielsweise habe ich ein stärkeres Interesse an feministischen Themen und sehe ihre Relevanz, weil sie mich als Frau persönlich betreffen.
Was motiviert dich, als Journalistin zu arbeiten?
Eine starke Motivation ist, Stimmen hörbar zu machen, die sonst nicht gehört werden. Ich habe beispielsweise einen Videobeitrag für die Deutsche Welle erstellt, in dem ich muslimische Leute frage, was sie von den Koranverbrennungen in Schweden und Dänemark halten. Im Diskurs, wie ich ihn aus der Ferne in Deutschland beobachtet habe, wurde über die Vorfälle gesprochen, aber nicht mit Menschen, die davon betroffen sind.
Wie konntest du dich als Journalistin in Schweden etablieren?
Für mich war klar, dass ich als Ausländerin, die gerade Schwedisch gelernt hat, nicht so schnell eine Festanstellung finden werde. In Schweden gibt es weniger Medien als in Deutschland und somit weniger feste Stellen. Mein Freund beispielsweise, der auch Journalist ist, hat erst nach 11 Jahren eine unbefristete Festanstellung gefunden. Vorher hatte er nur befristete Verträge. Dieses Schicksal teilen hier viele Journalist*innen. Deshalb war die Freiberuflichkeit für mich damals naheliegend, um in meinem Beruf weiter zu arbeiten.
Da ich kurz vor der Pandemie ausgewandert bin, war es schwierig, sich zu vernetzen. Ich habe journalistische Kontakte vor allem über Soziale Medien geknüpft. Auf meinem Instagram-Profil habe ich täglich Beiträge über Schweden geteilt, sodass Redakteur*innen auf mich aufmerksam geworden sind. Ich habe außerdem sehr viel gepitcht, also Themenidee an Redaktionen geschickt. Durch meinen Beitrag über die „Generation Merkel“, der in der Göteborgs-Posten erschienen ist, konnte ich mich als deutsche Politikjournalistin in Schweden etablieren. Die Idee, Leute zu interviewen, die mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin aufgewachsen sind, war in Schweden einzigartig.
Wenn du es dir aussuchen könntest, würdest du lieber in einer Festanstellung als Journalistin arbeiten?
Momentan nicht. Ich arbeite sehr gerne als freie Journalistin. Ich kann mir aber sehr gut in der Zukunft vorstellen, in einem investigativen Netzwerk tätig zu sein, die Recherche für unterschiedliche Medien bereitstellen.
Was findest du herausfordernd an deinem Beruf?
Am Anfang meiner Karriere fand ich es sehr herausfordernd, Leute zu interviewen. Vor allem, wenn ich sie über Themen befragte, die mich nicht interessierten oder worüber ich nicht viel wusste. Als junge Frau habe ich die Erfahrung gemacht, dass man häufig nicht ernst genommen wird. Das hat mich anfangs verunsichert.
Wer inspiriert dich?
Auch wenn wir nicht das gleiche machen, finde ich die Texte der Autorin Jacinta Nandi faszinierend. Ich mag ihre Art zu schreiben sehr. Und sie bringt wie ich eine Expat-Perspektive in ihre Arbeit mit ein – vor einigen Jahren ist sie von Großbritannien nach Deutschland gezogen.
Die Texte von Nadia Shehadeh schätze ich auch sehr. Ihre Texte habe ich zum ersten Mal auf ihren Blog Shehadistan gelesen. Sie schreibt für Das Neue Deutschland und im Februar ist ihr erstes Buch „Anti-Girlboss“ erschienen.
Generell mag ich es, wenn Leute einen unprätentiös Stil haben und man die Persönlichkeit aus ihren Texten rausliest.
Danke Regine für das interessante Interview!
Mehr über Regine und ihre Arbeit erfährst du auf ihrem Instagram-Profil und ihrer Webseite. Ihr Portfolio findest du hier.
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Ich glaub ich romantisiere das Berufsleben von Regine ein bisschen zu sehr, aber finde es einfach voll schön mal von Menschen zu lesen die ihren Traumjob (mit allen Hürden) leben:)