Als Frau kann ich mich nie sicher in der Öffentlichkeit bewegen
Wie können wir Zivilcourage zeigen?
TW Gewalt
Ich stand an der Ampel, als ich Schreie hörte. Ich drehte mich zur Seite und sah, wie ein Mann eine Frau zu Boden stieß und sie aufs Schlimmste beleidigte. Passant*innen neben mir blickten konzentriert auf die Straße. Ich zitterte am ganzen Körper und starrte auf den Ampelmast. Du kannst nicht einfach weitergehen. Du musst da jetzt irgendwas tun, dachte ich. Ich drehte mich um und lief wackelig zwischen die beiden. „Lassen Sie die Frau in Ruhe!“, rief ich so laut ich konnte. Von der Straßenseite stürmte eine Person zu uns und rammte den Mann, der auf die Frau eintrat. Überrascht fiel er auf die Kleiderstangen, die vor dem Laden standen. Ich rannte ins Geschäft und rief den Kassierer*innen zu, sie sollen sofort die Polizei anrufen. Im Autopilot verließ ich den Laden, ging zur Ampel und überquerte die Straße. Ich ging auf und ab und wusste nicht, wohin. Nach ein paar Minuten hörte ich von Weitem Sirenen. Zwei Streifenwagen parkten an der Ampel, an der ich vor ein paar Minuten noch stand.
Es ist ein Privileg, sich sicher fühlen zu können
Jede dritte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal in ihrem Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt. Marginalisierte Personen wie Women of Color, Frauen und Mädchen mit Behinderung sowie Menschen aus der LGBTIQ*-Community sind dabei häufiger von Gewalt betroffen.
Im öffentlichen Raum ist Catcalling – verbale sexualisierte Belästigung – weitverbreitet und hat schwerwiegende Folgen für die Betroffenen. Trotzdem gilt Catcalling in Deutschland nicht als Straftat.
Am Wochenende begegnete ich auf dem Weg ins Kino eine Gruppe von Männern. Einer von ihnen kam mir entgegen und sah mir ins Gesicht. Er rief mir hinterher, wie sexy ich sei und stöhnte, als ob er mich f***** würde. Kurz darauf sah ich Szenen aus Barbie, wie Ken das Patriarchat für sich entdeckte und Barbie klar wurde, dass die reale Welt nicht so aussah wie in ihrer Vorstellung. Das Publikum lachte. Mir war zum Heulen zumute.
Frauen können sich in der Öffentlichkeit nie freibewegen, weil wir uns der Gefahren bewusst sind. Von klein auf lernen wir, uns einzuschränken: Wir erfahren im Laufe unseres Lebens Gewalt oder hören von Bekannten und Freundinnen, was ihnen Schlimmes widerfahren ist. Wir beobachten in öffentlichen Diskursen, wie Menschen Frauen vorwerfen, sie hätten bei Übergriffen eine Mitschuld.
Nachdem ich mich entschieden hatte, diesen Artikel zu schreiben, habe ich festgehalten, wie ich mich in der Öffentlichkeit einschränke, um mich zu schützen. Ich war sehr erschrocken, da mir vieles davon nicht bewusst war. Hier ein Auszug der Liste:
Ich trage in der Öffentlichkeit immer einen BH, damit niemand meine Brüste berühren kann.
Wenn ich joggen gehe, trage ich über meine Sportleggings ein längeres Top, damit niemand genau meinen Hintern sehen kann.
Wenn ich alleine unterwegs bin, habe ich immer mein Handy bei mir.
Ich vermeide öffentliche Verkehrsmittel.
Ich setze mich alleine niemals im Bus in einen Vierersitz.
Ich vermeide Blickkontakt.
Ich wechsle die Straßenseite, wenn mir eine Gruppe von Männern entgegenkommt.
Vor der Angst, dass Bilder von mir missbraucht werden, überlege ich mehrmals, welche Fotos ich von mir im Internet veröffentliche.
Ich gehe nicht alleine ins Schwimmbad.
Ich vermeide alleine unterwegs zu sein.
….
Wie ist es bei euch?
Wie kann ich Zivilcourage zeigen?
Bis heute denke ich an den Vorfall vor dem Laden und daran, was ich hätte besser machen können. Ich hatte solche Gewalt noch nie gesehen. Und es war das erste Mal, dass ich mich traute, bei einem Übergriff einzuschreiten.
Aus meiner Erfahrung und dem Austausch mit Freundinnen und Bekannten weiß ich, dass viele Menschen keine Hilfe leisten. Um gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken, braucht es jedoch Menschen, die sich für ihre Mitmenschen einsetzen. Ich wünsche mir vor allem von Männern, die körperlich stark genug sind, sich zu wehren, dass sie in übergriffigen Situationen eingreifen und Solidarität zeigen. Die Betroffenen sollten nicht alleine gelassen werden.
Ich weiß, dass ein Einschreiten Mut und Überwindung braucht. Deshalb habe ich nach Möglichkeiten gesucht, wie wir Zivilcourage zeigen können. Die Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes empfiehlt:
hilf, bring dich aber nicht selbst in Gefahr
rufe die Polizei unter 110 an
bitte andere um Mithilfe
präge dir Täter*innenmerkmale ein
kümmere dich um die Betroffenen
sage als Zeug*in aus
Ein paar Ergänzungen von mir:
bei Catcalling, wenn man selbst nicht betroffen ist: sich mit der betroffenen Person solidarisieren, indem man bspw. dem Täter sagt, dass sein Verhalten übergriffig war
sich bei Initiativen engagieren, die sich gegen Gewalt einsetzen (bspw. gibt es in vielen Städten Organisationen, die auf Catcalling aufmerksam machen wie catcallsofberlin oder catcallsofhannover vom Chalk Back Deutschland e.V.)
bei digitaler Gewalt: Profile melden, die Menschen beleidigen bzw. belästigen
bei digitaler Gewalt: sich bei Organisationen wie HateAid Unterstützung suchen oder sich beraten lassen
wenn man sich in der Öffentlichkeit sicher fühlt: sich mit Perspektiven von Betroffenen auseinanderzusetzen (bspw. sammelt das Sirens Collective in ihrem Archiv Erfahrungen von Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben)
Habt ihr weitere Tipps? Dann schreibt sie gerne in die Kommentare, oder schickt mir eine Nachricht. Ich ergänze eure Vorschläge wie immer in der Liste.
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Ich las deinen Text gestern Abend, kurz nachdem ich einen dieser Einzelsitze im Regional-Express ergattert hatte. Danach wusste ich wieder, warum mir dieser Sitzplatz immer so wertvoll vorkommt. Dieses routinierte Abchecken nach der (gefühlt) sichersten Option ist schon so verinnerlicht, dass ich manchmal vergesse, dass das eigentlich nicht normal sein sollte und warum es sich trotzdem so oft so anfühlt.😔
Und dass du eingegriffen hast, laut geworden bist und Hilfe organisiert hast, hat mich sehr berührt (und geholfen). Mit einer Angststörung ist sowas noch mal anders schwer, aber es ist möglich. Wir sind nicht handlungsunfähig, auch wenn der Körper uns das erst mal weismacht.💛
So ein wichtiger Beitrag, den frau eigentlich an jede und jeden in der Bekanntschaft schicken müsste. Gerade zu vielen Männern ist immer noch nicht klar, wie groß das Problem ist. Danke, Caro! Und mach bitte weiter so. Ich lese deine Newsletter (wenn ich dazu komme) mit großem Gewinn.