Wir sitzen am Brunnen und warten auf den Bus. Tom unterhält sich mit einem Schulkameraden. Es ist warm. Von der Fontäne wehen Wassertropfen auf meinen Rücken. Ich sehe in den Himmel und schließe meine Augen. Die beiden haben aufgehört, über ihre Klausur zu sprechen. Eine Person nähert sich. „Die hat ja einen Schnurrbart.“ Ich öffne meine Augen und sehe, wie Toms Schulkamerad auf mein Gesicht zeigt und hämisch grinst. Tom steht auf und versucht, seinen Arm herunterzudrücken. „Hör auf damit. Das ist nicht witzig.“ Ich schaue auf den Boden. Für einen Augenblick wünschte ich mir, nicht zu existieren. Seit diesem Tag zupfe ich mir meine Haare aus dem Gesicht.
![](https://substackcdn.com/image/fetch/w_1456,c_limit,f_auto,q_auto:good,fl_progressive:steep/https%3A%2F%2Fsubstack-post-media.s3.amazonaws.com%2Fpublic%2Fimages%2F6e1f4e09-1692-4b79-924f-ce88657d3735_960x1280.jpeg)
Frauenfeindlichkeit (Misogynie) ist vielseitig und nicht immer klar zu erkennen. In einem der schlimmsten Fälle wird einer Frau ihr Leben genommen: In Deutschland versucht jeden Tag ein Mann seine (Ex-)Partnerin zu töten. Jeden dritten Tag gelingt es.
Christina Clemm, Fachanwältin für Familien- und Strafrecht sowie Autorin des Buches “Gegen Frauenhass” schreibt:
Misogynie hat eine Funktion in unserer Gesellschaft
Vor ein paar Monaten erfuhr ich, dass meine Großtante eine Zwangssterilisation erleiden musste. Ihr Name war Marie. Ich hatte vorher kaum etwas über sie gewusst. Der Grund für den Eingriff? Hysterie – eine Krankheit, die Männer erfunden haben, um letztendlich Frauen zu unterdrücken.
Misogynie spiegelt die Einstellung wieder, Frauen seien minderwertig. Sie ist ein Mittel, um patriarchale Herrschaftsstrukturen aufrechtzuerhalten und Frauen zu veranlassen, in ihren zugewiesenen Rollen, beispielsweise als fürsorgliche Mutter, als begehrte Freundin oder als unterbezahlte Pflegekraft, zu bleiben. Frauen, die aus diesen Verhältnissen ausbrechen und sich nicht an die herrschenden Normen halten, müssen mit Konsequenzen rechnen.
Aufgrund von weiteren Diskriminierungs- und Unterdrückungsmechanismen sind Schwarze, Indigene und Women of Color sowie Frauen mit Behinderung und trans* Frauen stärker von Restriktionen und Gewalt betroffen. Es ist eine Frage der Privilegien, inwieweit Frauen ihr gesellschaftliches Korsett ausdehnen dürfen.
Die norwegische Sozialpsychologin Berit Ås hat fünf Herrschaftstechniken herausgearbeitet, die Menschen alltäglich bewusst oder unterbewusst gegen Frauen anwenden. Hier ein paar Beispiele:
Unsichtbar machen: In der Medizin gelten Männer als Standard (Gender Data Gap)
Lächerlich machen: „Du bist so süß, wenn du dich aufregst.“
Informationen zurückhalten: Männliche Kollegen treffen sich in einer Bar und besprechen arbeitsrelevante Themen.
Schuld aus jedem Blickwinkel/ Doppelstandards: Als Mutter vernachlässigst du entweder deine Kinder oder deinen Job.
Beschämen: „Mit deinem Aussehen hast du es ja auch provoziert.“
Immer schön lächeln
Jede Person, die in patriarchalen Verhältnissen wie hier in Deutschland aufwächst, erlernt misogyne Verhaltens- und Gedankenmuster. Momentan lese ich das Buch „Toxische Weiblichkeit“ von Sophia Fritz. Dabei merke ich, welche Auswirkungen diese Herrschaftsstrukturen auch auf mich haben. Ich nehme Rollen in der Gesellschaft ein, die für mich als Frau angemessen und sicher erscheinen. Auch gestern konnte ich beobachten, wie ich automatisch als „gutes Mädchen“ agierte, als mich ein Mann beim Parken anschnauzte und erklärte, wie ich einen Umzug anzumelden habe. Ich nickte und fragte ihn lächelnd, ob es denn trotzdem in Ordnung sei, wenn wir hier parken würden.
Gleichzeitig erwische ich mich in Situationen, in denen ich Frauen missgünstig begegne. Wenn ich beispielsweise eine erfolgreiche Frau auf Instagram sehe und automatisch nach ihren Fehlern suche oder ihre Kompetenz hinterfrage. Weiblich sozialisierte Personen erlernen von klein auf, zueinander in Konkurrenz zu stehen – denn wer ist die schönste im ganzen Land?
Was können wir tun?
Als einzelne Person können wir keine Strukturen auflösen, aber wir können selbst entscheiden, wie wir Menschen begegnen möchten. Zur Frage, wie wir unsere internalisierte Misogynie aufdecken können, habe ich 10 Möglichkeiten gesammelt:
Sich mit der eigenen Rolle in der Gesellschaft auseinandersetzen (z.B. einen Privilegien-Check machen)
Sich mit Frauen solidarisieren (z.B. ihnen glauben, wenn sie über sexualisierte Gewalt berichten)
Eifersucht und Missgunst gegenüber Frauen wahrnehmen und hinterfragen
Körper nicht ungefragt kommentieren
Sich mit dem sogenannten „männlichen Blick“ auseinandersetzen und versuchen, sich aus der eigenen Perspektive zu betrachten: Was gefällt mir gut?
Bücher über Frauenfeindlichkeit sowie toxische Männlichkeit und Weiblichkeit lesen (z.B. „Toxische Weiblichkeit“ von Sophia Fritz, “Sei kein Mann” von von JJ Bola)
Intersektionalität nicht vergessen (z. B. haben weiße Frauen mehr Privilegien als Women of Color)
Wortschatz reflektieren (Wörter wie B**** oder H***, aber auch Heulsuse, Pussy oder Memme sind frauenfeindlich)
Erwartungshaltung hinterfragen (z.B. sollte (kostenlose) Care Arbeit nicht selbstverständlich von Frauen erwartet werden)
Sich äußern, wenn man frauenfeindliches Verhalten beobachtet
Habt ihr Ergänzungen? Dann schreibt sie gerne in die Kommentare.
Auch wenn es sich anfangs wie eine Diskriminierung anfühlt: Männer profitieren von patriarchalen Strukturen. Auch körperliche Gewalt geht vor allem von ihnen aus. Deshalb sollten sich gerade Männer mit ihren Privilegien auseinandersetzen und ihre Macht hinterfragen.
Du magst ZaronurmitC?
❤️ like den Post
✉️ teile ZaronurmitC mit deinen Freund*innen
Hi Caro 💗 erstmal nochmal danke für diesen großartigen Newsletter!!
Leider habe ich auch schon unzählige Abwertungen aufgrund meines Geschlechts erlebt, was mir immernoch absurd erscheint. Weil das ist nicht meine Geschichte! Ich akzeptiere das nicht. So nicht.
Meine Mutter war im Vollzeitjob und blieb zerrissen im Spagat. Ich erlebte eine Mutter die immerzu erschöpft war nach ihrer recht intensiven Arbeit.
Ich dachte es sei der Job und hab auf Vollzeit Mutter mit Nebenjob gesetzt. Das Gegenteil sozusagen.
Neben dem Nebenjob hab ich mich noch persönlich in Projekten künstlerisch begonnen zu verwirklichen.
Oft habe ich Sehnsucht danach einfach mehr den Moment genießen zu können. Doch wenn ich es tue stapeln sich schnell Berge von Arbeit und verhindern, dass ich Freiräume für Herzensprojekte freischaufeln kann.
Wieder ein Spagat.
Langeweile? Zu selten.
Virginia Woolf brachte es sehr gut auf den Punkt! (Ein Zimmer für sich allein)
Ich hab mir oft gedacht, wenn eine berufstätige Frau mich abschätzig behandeln wollte, das ist beispielhafter Ausdruck ihrer allzu verständlichen Unzufriedenheit.
Es tut dennoch weh, weil es unsolidarisch ist. Und ich werde in meiner Unzufriedenheit nicht gesehen. Unsichtbar Plus unbezahlte carework. Meine Tochter machte eine 1a Semesterarbeit zum Thema unbezahlte Wegearbeit.
Und es brennt in mir, dass weitere unzählige Frauen leiden.
(Schöne Dokumentation auf Arte: Die Sprache der Frauen/ Künshu)
Ich bleibe dran an meinem eintreten für Frauen Solidarität.
Es liegt mir sehr am Herzen, dass wir endlich keine Angst mehr haben vor Männern/ männlicher Macht und Gewalt. Und das wir erkennen wie frei, kreativ und wandelbar wir alle sind. Und das Geschlechtsübergreifend.
Viele Geschichten von Traumata hängen in der Luft. Dicke Wolken. Therapiehimmel
Aber dann wird es leichter. Wenn man erstmal ehrlich mit sich selbst und der eigenen Geschichte werden kann. Differenzierter im Blick
❣